Die erste Fallstudie im Rahmen des vom ARE initiierten Projekts «Lernen aus der Vergangenheit - ex post-Untersuchung der räumlichen Auswirkungen der Verkehrsinfrastrukturen» ist unter Begleitung der betroffenen Bundesstellen (BAV, ASTRA, BAFU) und der hauptinteressierten Kantone (ZH, AG, SZ) abgeschlossen worden.
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die räumlichen Auswirkungen der Zürcher S-Bahn, d.h. die Veränderungen der letzten 20 Jahre im untersuchten Raum und deren Ursachen. Insbesondere interessiert, ob das zum Teil stark verbesserte Bahnangebot im interkantonalen Grossraum Zürich eine Trendwende einläutet und zu einer vermehrten Siedlungsentwicklung nach Innen beiträgt, oder ob die S-Bahn mit ihren effizienten Verbindungen gar einer noch periphereren Wohnsitznahme Vorschub leistet. Aufbauend auf der Analyse sollen auch Erkenntnisse für zukünftige Projekte gezogen werden können.
Die Fallstudie wurde mit der im Auftrag des ARE entwickelten Methodik des «Tripod» erarbeitet. Dabei sollen die Raumwirkungen im Zusammenspiel dreier Faktoren untersucht werden: (i) Veränderungen des Verkehrssystems und davon ausgehende direkte Wirkungen auf die Erreichbarkeiten, (ii) im Raum vorhandenen Potenziale und allgemeine Rahmenbedingungen sowie (iii) Verhalten der Akteure (Behörden und Privatwirtschaft). Die Raumwirkungen sollen zudem auf drei Ebenen betrachtet werden: Interregional, innerregional sowie lokal; zu regionalen Vergleichszwecken wurden im Falle der S-Bahn Zürich insgesamt 14 Untersuchungsgebiete ausgewählt. Schliesslich soll der Zeitpunkt der Wirkungen untersucht werden.
Insgesamt ist festzustellen, dass die Raumeffekte einer S-Bahn schwer zu ermitteln sind. Speziell die kausale Zuordnung von räumlicher Entwicklung und Bahnangebotsverbesserungen stellt eine grosse methodische Herausforderung dar. Denn gleichzeitig treten andere Faktoren auf, wie die individuelle Motorisierung und der Strassennetzausbau sowie diverse lokale Voraussetzungen und allgemeine Bedingungen mit Einfluss auf die Siedlungsdynamik. Hinzu kommt, dass es zwischen Verkehr und Raumentwicklung nicht einfach Einwegbeziehungen gibt, sondern Wechselwirkungen. Dieses Wirkungsgeflecht wird noch dadurch ergänzt, dass politische und wirtschaftliche Akteure unterschiedlich stark von den bahnbedingten Standortvoraussetzungen Gebrauch machen.
Folgende Hauptergebnisse sind weiter aus der Fallstudie hervorzuheben: Die 1990 in Betrieb genommene Zürcher S-Bahn hat für den Regionalverkehr einen attraktiven Taktfahrplan gebracht. Zudem wurden dank dem Umbau des Hauptbahnhofs zu einem Durchgangsbahnhof Durchmesserlinien eingerichtet. Zu den Angebotsverbesserungen gehören überdies die Buszubringer und der Tarifverbund.
Anders als der in den 60-er und 70er Jahren forcierte Nationalstrassenausbau fiel die Eröffnung der S-Bahn aber in eine Rezessionszeit. Damit konnten die räumlichen Wirkungen, vor allem die Dezentralisationseffekte, nicht annähernd gleich gross sein wie jene der Strasse. Aus raumordnungspolitischer Sicht sehr interessant ist aber, dass die S-Bahn die Rekonversion der grossen ehemaligen Industrieareale in den Städten und ihrem Umland erleichtert. Denn diese Areale lagen traditionellerweise an der Bahn. Die neuen Dienstleistungszentren oder Wohnbezirke sind somit sehr gut erschlossen, was die Siedlungsentwicklung nach innen unterstützt.
Die Erkenntnisse aus der Fallstudie ZH lassen sich aber nicht ohne weiteres auf andere Agglomerationen übertragen. Der regionale und lokale Kontext, in den ein S-Bahn-System zu liegen kommt, hat mit seinen vielen Facetten für die räumlichen Wirkungen eine so starke Bedeutung, dass Verallgemeinerungen nur unter Vorbehalten gemacht werden können. Auch muss beachtet werden, in welche Phase der wirtschaftlichen Entwicklung ein Projekt fällt. Die Gewichte und teils auch die Wirkungsrichtungen der einzelnen Faktoren können sehr unterschiedlich sein. Dennoch bietet die Fallstudie Zürich sehr wertvolle Anhaltspunkte für die Planung von Bahnsystemen in Agglomerationen.
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