Einführung

Dieses Kapitel präsentiert die Anwendungsmöglichkeiten des NPVM sowie die wichtigsten Modelleigenschaften. Es zeigt die detaillierte Gebietseinteilung im In- und Ausland in Verkehrszonen, die verwendeten Datenquellen und die Modelltheorie.

Ein modernes Planungsinstrument

Raum- und Verkehrsplanerinnen und -planer verwenden Verkehrsmodelle als Arbeitsinstrument, um die Auswirkungen von politischen Entscheiden auf die Verkehrsflüsse und den Modal-Split, also die Wahl der Verkehrsmittel, zu berechnen. Das ARE betreut und entwickelt in enger Zusammenarbeit mit den Bundesämtern für Verkehr (BAV) und für Strassen (ASTRA) die Verkehrsmodelle im Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Das bis vor kurzem verwendete NPVM wurde zuletzt 2010 grundsätzlich überarbeitet.   

Mit dem neuen NPVM steht ein Modell zur Verfügung, das auf internationalen Standards der Verkehrsmodellierung, den aktuellsten Daten und den heute zur Verfügung stehenden IT-Möglichkeiten basiert. Das Modell sowie ausgewählte Ergebnisse, z.B. Reisezeit und Distanz zwischen allen Verkehrszonen, stehen als Open Data auf Zenodo zur Verfügung. 

 
Anwendungen des Nationalen Personenverkehrsmodells NPVM 2017. Ändern sich Einflussfaktoren – etwa in der Demographie oder bei den Verkehrsangeboten – kann mithilfe des NPVM analysiert werden, wie sich dies auf das Verkehrssystem auswirkt.
© ARE

Das NPVM eignet sich dazu, Auswirkungen von veränderten Einflussfaktoren auf nationaler, kantonaler oder regionaler Ebene zu analysieren, wie z.B.:

  • Bau einer Umfahrungstrasse oder eine Erhöhung des ÖV-Taktes zwischen zwei Städten.
  • Zunehmende Alterung der Bevölkerung, Verdichtung von Wohnquartieren und Ansiedlung von neuen Arbeitsplätzen.
  • Die Bevölkerung kauft weniger Autos, arbeitet im Homeoffice oder zahlt höhere Preise für die Nutzung des Autos und des ÖV.
  • Neue Mobilitätsformen wie die App-basierte Reservation von Fahrzeugen oder automatisierte Autos können indirekt modelliert werden, z.B. über mehr Personen in den Autos und höhere Kapazitäten im Strassennetz.

Die wichtigsten Eigenschaften

Das NPVM ist ein makroskopisches, d.h. auf Bevölkerungsgruppen (und nicht Individuen) basierendes Verkehrsmodell. Es ist in der Software zur Verkehrsplanung PTV VISUM umgesetzt und wurde für das Jahr 2017 erstellt (Modelletablierung Nationales Personenverkehrsmodell 2017). Die neuen Zugsverbindungen durch den Gotthard-Basistunnel sind integriert. 

Eigenschaften des Nationalen Personenverkehrsmodells NPVM 2017
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Für Anwenderinnen und Anwender sind folgende Eigenschaften relevant:

Verkehrsangebot: Verkehrsnetze und ÖV-Fahrpläne

  • Detailliertes und lagegenaues Strassennetz: Es enthält alle für den Verkehr relevanten Strassenabschnitte und deren Kapazitäten.
  • Separates Velonetz: Es basiert auf dem Strassennetz und Velowegen von SchweizMobil. Weiter enthält es Informationen dazu, ob die Strecken grössere Höhenunterschiede oder eine starke Verkehrsbelastung aufweisen, was die Strecken weniger attraktiv für den Veloverkehr macht.
  • Der ÖV ist durch die vollständigen Fahrpläne für Luftseilbahnen, den ländlichen Bus, das städtische Tram oder die halbstündlichen Intercity-Züge zwischen den grossen Städten der Schweiz abgebildet. Stark ausgelastete Zugsverbindungen auf den Hauptachsen führen zu Komforteinbussen bei den Reisenden und machen so Alternativen wie z.B. einen Umstieg auf das Auto wahrscheinlicher.

Verkehrsnachfrage: Personengruppen und Verhaltensmuster

  • Die Schweiz ist, basierend auf den Gemeindegrenzen sowie raum- und verkehrsplanerischem Fachwissen, unterteilt in rund 8’000 Gebietseinheiten, sogenannte Verkehrszonen.
  • Das Verkehrsverhalten der Bevölkerung variiert nach Alter, Erwerbsstatus und Besitz eines Autos oder ÖV-Abos. Um dieser Erkenntnis Rechnung zu tragen, fasst das NPVM die Bevölkerung in Personengruppen zusammen, die sich ähnlich verhalten. So entstehen über 100 Gruppen. Ein Beispiel: Erwerbstätige, 25-44-jährig, ohne Auto und mit ÖV-Abo. Für jede dieser Gruppen arbeitet das NPVM mit unterschiedlichen Verhaltensmustern, so z.B. die mittlere Anzahl an Wegen, die sie zur Arbeit, zum Einkaufen oder zur Begleitung anderer Personen pro Tag zurücklegen.
  • Wie lang ein Weg ist und welches Verkehrsmittel Personen auswählen, hängt unter anderem vom Zweck der Fahrt ab. Das NPVM unterscheidet zwischen Einkaufswegen für den täglichen oder längerfristigen Bedarf und zwischen Freizeitwegen bis zu 10 km Entfernung oder länger. Der Weg zum wöchentlichen Lebensmitteleinkauf ist typischerweise kürzer als der Weg zum Einkauf von Möbeln. Der Weg zum nahegelegenen Park wird eher zu Fuss oder mit dem Velo zurückgelegt, der Weg ins Sportstadion eher mit dem Auto.

Verkehrszonen im In- und Ausland

Raum- und Verkehrsplanerinnen und -planer haben, als sie das neue NPVM erarbeiteten, in einem ersten Schritt eine geografische Gebietseinteilung vorgenommen (NPVM 2016: Zonenstruktur und Verkehrsnetze). Diese ist deutlich feiner als im alten Modell: Das alte NPVM verwendete rund 3000 Verkehrszonen für die Schweiz, neu arbeitet das NPVM mit rund 8000 Verkehrszonen. Die Verkehrszonen sind wichtig, weil je detaillierter die räumliche Aufteilung, umso genauer kann das NPVM die Verkehrsflüsse abbilden. 

Um die alten Verkehrszonen weiter zu unterteilen, verwendeten die Expertinnen und Experten geografisch trennende Elemente, die Schienen- und Strasseninfrastrukturen, stehende und fliessende Gewässer sowie die Bauzonen. Zudem stellten sie sicher, dass keine Zone über eine Gemeindegrenze hinausgeht und dass, basierend auf Hektardaten zu Bevölkerung und Arbeitsplätzen, die Verkehrszonen im Mittel etwa 1600 Einwohnerinnen und Arbeitsplätze aufweisen. In ländlichen, wenig dicht besiedelten Gebieten sind die Verkehrszonen im neuen und im alten Modell häufig identisch.

Insbesondere in den Städten ist das neue NPVM deutlich genauer geworden, wie dies die Tabelle aufzeigt:

 
 
Anzahl Verkehrszonen
Städte NPVM 2017 NPVM 2010
Zürich 308 12
Genf 126 7
Basel 141 8
Bern 105 6
Lausanne 88 6
Winterthur 83 4
Luzern 63 5
St. Gallen 68 3
Lugano 63 19
Biel 43 5

Das NPVM bildet ebenfalls 710 Verkehrszonen im Ausland ab. Die 13 Gemeinden Liechtensteins sowie die Enklaven Büsingen und Campione d’Italia werden als Teil des Schweizer Modellraums behandelt. Im Grundsatz nimmt mit zunehmender Entfernung zur Schweiz die Grösse der Verkehrszonen zu, und der Detailgrad der Modellierung ab. Verkehrszonen in den Nachbarländern sind kleiner und somit detaillierter, wenn sie auf Verkehrsachsen mit Bezug zur Schweiz oder entsprechenden Alternativrouten für den internationalen Verkehr liegen. Die Verkehrszonen umfassen daher nach Osten und Westen alle Alpenübergänge in Frankreich und Österreich. Grenzgängerinnen und Grenzgänger sorgen für regen Verkehr in den Agglomerationen Genf, Basel sowie im Tessin. Das NPVM übernimmt dort die grenznahe Zonenstruktur aus den kantonalen Modellen.  

 

Datenschatz

Für den Aufbau des NPVM hat das ARE alle relevanten Daten zusammengetragen. Neben Datensätzen der Bundesstatistik und von Kantonen basiert das NPVM auf Daten der SBB sowie weiterer, auch kommerzieller Quellen. Die Daten liegen in der Regel nicht harmonisiert vor. Das ARE und die Modellexperten investierten daher viel Zeit in die Aufbereitung und den Abgleich der Daten, beispielsweise damit geeignete Wege und Verbindungen im Schienen- und Strassennetz gefunden werden oder um Daten zur Verfügbarkeit von Autos und ÖV-Abos schweizweit vergleichbar zu machen.

Ziel des ARE war es, kohärente Datengrundlagen für das Jahr 2017 oder möglichst nahe an diesem Zeitpunkt zu verwenden. Das Jahr 2017 ist durch den aktuellsten Datenstand der Statistik zur Bevölkerung und den Haushalten STATPOP gegeben. Befragungsdaten zum Mobilitätsverhalten Mikrozensus Mobilität und Verkehr (MZMV), Stated-Preference (SP) Befragung sind nicht jährlich verfügbar, die aktuellsten stammen aus 2015. Bei Zähldaten im Strassenverkehr und ÖV mussten die Modellexperten eine teils unvollständige räumliche Abdeckung akzeptieren. 

Im MZMV, der grössten Bevölkerungsbefragung zum Mobilitätsverhalten in der Schweiz, berichten über 57000 Personen am Telefon, wozu und wie sie jüngst unterwegs waren. Der MZMV liefert so Informationen zur Wahl von Verkehrsmitteln nach Fahrtzweck (z.B. Arbeit), Anzahl Personen im Auto oder der Anzahl von Wegen, die wir täglich zum Einkaufen, Arbeiten oder in der Freizeit zurücklegen.

Welche Veränderung der Mobilitätspreise ist nötig, damit die befragte Person vom Auto auf den ÖV wechselt? Solche, hypothetische Fragen zu den Vorlieben der Befragten beantwortet nicht der MZMV, sondern die an ihn geknüpfte SP-Befragung zum Verkehrsmittel- und Routenwahlverhalten.

Damit das NPVM Verhaltensmuster aus den Befragungen bestmöglich reproduziert, wurden die Auswertungen des MZMV und der SP-Befragung nach den drei Raumtypen «städtisch», «intermediär», «ländlich» (Stadt/Land-Typologie 2012 des Bundesamts für Statistik (BFS) durchgeführt. Beispielsweise zeigt sich, dass die Bewohnerinnen und Bewohner ländlicher Gebiete etwas längere Arbeitswege mit dem Auto akzeptieren, während Städterinnen und Städter v.a. auf dem Weg zur Arbeit einen zusätzlichen Umstieg im ÖV vermeiden möchten.

Das NPVM basiert zur Berechnung der Anzahl Wege pro Verkehrszone auf einer sogenannten Synthetischen Population (SynPop). Die SynPop kombiniert Eigenschaften der Bevölkerung wie z.B. Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Einkommen, Anzahl Personen im Haushalt und der Besitz von Autos und ÖV-Abos aus verschiedenen Datenquellen so, dass sie ein Abbild der Schweizer Bevölkerung ist. Die SynPop ist geocodiert, für die Verwendung im NPVM werden die Eigenschaften pro Akzeptanz des Nutzungsvertrags,Verkehrszone genutzt. Erstmals berücksichtigt das NPVM neben der Verbreitung von GAs und Halbtax-Abos auch städtische und regionale ÖV-Abos, die die Schweizer Verkehrsverbünde zur Verfügung stellten. Die SynPop ist so aufgebaut, dass unter Einbezug von Bevölkerungs- und Wirtschaftsprognosen für die Zukunft z.B. eine SynPop 2050 erstellt werden kann.

Als Resultat dieser Harmonisierung verfügt das ARE über einen Datenschatz, der unabhängig vom NPVM einen grossen Wert hat und mit allen Interessierten die Grundlagen für die Raum- und Verkehrspolitik erstellen. 


1600 Zählwerte im ÖV, 3900 im Strassenverkehr

Verkehrsämter und ÖV-Unternehmen führen regelmässig Messungen und Zählungen auf den Strassen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln durch. Über wie viele Tage wurden Autos gezählt? Ist in den Daten sichtbar in welche Richtung die Autos gefahren sind? Das ARE harmonisierte die Datenqualitäten und -formate dieser unterschiedlich erhobenen und aufbereiteten Zählwerte. Sie wurden dann verwendet, um das NPVM an der beobachteten Anzahl an Fahrten zu eichen. Damit konnten die Modellexperten sicherstellen, dass das NPVM die heutige Verkehrssituation gut abbildet. Sie achteten darauf, dass möglichst für alle Tage, Tageszeiten und Regionen Zähldaten genutzt wurden.  

1600 Zählwerte im öffentlichen Verkehr
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Die SBB stellten rund 700 Zählwerte, die Kantone und die Verkehrsverbünde rund 900 Zählwerte im ÖV (Tram, Bahn, Bus) zur Verfügung. Der ÖV ist somit gut abgedeckt. Das ASTRA, die Kantone und Städte haben über 3900 Zählwerte für das Strassennetz geliefert. Das Nationalstrassennetz ist mit den Zählwerten des ASTRA ebenfalls gut abgedeckt. Im untergeordneten Netz fehlte es jedoch an Beobachtungswerten: Für einzelne Regionen waren in ländlichen Gebieten nur wenige Zähldaten verfügbar, so z.B. in den Kantonen Freiburg, Waadt, Wallis und Thurgau. Das ARE empfiehlt Anwenderinnen und Anwendern des NPVM deshalb, die Resultate in Räumen mit schwacher Abdeckung mit Zähldaten vorsichtig zu interpretieren. Das ARE rät bei lokalen Analysen generell, zusätzliche Zählwerte zu beschaffen, diese zu integrieren und das Modell je nach Situation neu zu eichen.

3900 Zählwerte im gesamten Strassennetz
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Modelltheorie

Das Verkehrsnachfrage im NPVM basiert auf den drei Schritten des EVA-Ansatzes - Erzeugung, Verteilung, Aufteilung - und einem vierten Schritt, der Routen- und Verbindungswahl, der sogenannten Umlegung (Lohse & Schnabel, 2011, Grundlagen der Strassenverkehrstechnik und der Verkehrsplanung).

  1. Erzeugung: Wie viele Fahrten finden statt? Das NPVM berechnet, basierend auf der Bevölkerung (SynPop) pro Verkehrszone, die Anzahl Fahrten, die in die Verkehrszone hinein und aus der Verkehrszone herausführen.
  2. Verteilung: Wohin führen die Fahrten? Das NPVM berechnet, basierend auf den Arbeitsplätzen, Schulstandorten, Einkaufs- oder Freizeiteinrichtungen, wohin die Fahrten gehen.
  3. Aufteilung: Welches Verkehrsmittel wird verwendet? Gleichzeitig zur Verteilung wird der Modal-Split, also die Wahl der Verkehrsmittel je Fahrtzweck (z.B. Einkaufen) im Modell vorgegeben. Die Schritte 2 und 3 werden gleichzeitig berechnet.
  4. Umlegung (Routen- und Verbindungswahl): Welche Strasse oder welcher Zug wird genutzt? Für ÖV-Wege sucht das NPVM Verbindungen im Fahrplan, für Auto- und Velo Routen im Strassen- und Velonetz.

Zwischen den Schritten 1-3 (EVA) und 4 (Umlegung) finden mehrere Rückkopplungen statt, um ein Gleichgewicht und ein eindeutiges Ergebnis zu erzeugen. Ein Gleichgewicht ist erreicht, wenn kaum noch Änderungen bei der Wahl von Zielen (Schritt 2) und Verkehrsmitteln (Schritt 3) festzustellen sind, weil die Belastungen im Strassennetz und damit die Reisezeiten stabil bleiben.

Das NPVM-Nachfragemodell (Schritte 1-3) steht Anwenderinnen und Anwendern als Hauptversion zur Verfügung, ergänzt um drei Netzversionen mit dem Angebotsmodell ÖV und den zwei Netzmodellen für Velo und Strasse (Schritt 4).