Wegweisende Gerichtsurteile und Spezialfälle

Diese Seite enthält die praxisbildenden Gerichtsurteile. Sie helfen insbesondere Gemeinden und Kantonen, rasch Klarheit über zentrale Tatbestände zu erlangen und dienen für die jeweiligen Fragestellungen als Richtschnur für den Vollzug. Es werden nur Gerichtsurteile des Bundes- und Bundesverwaltungsgerichts aufgelistet, die mit Blick auf den Vollzug des Zweitwohnungsgesetzes (ZWG) eine allgemeine Gültigkeit haben, sprich nicht spezifisch einer kantonalen Bestimmung entspringen.

Für die Zulässigkeit des Abbruchs und Wiederaufbaus ist nur die Frage des Standorts massgebend

Das Bundesgericht hat in einem Urteil vom 17. Juni 2022 (1C_526/2020) präzisiert, die Verfassungsbestimmungen zu den Zweitwohnungen und das Zweitwohnungsgesetz zielten nur darauf ab, dass nach dem Wiederaufbau die frei nutzbare Hauptnutzfläche nicht vergrössert wird. Demgemäss verlangt Artikel 11 Absatz 2 ZWG nicht, dass der ästhetische und architektonische Charakter der bisherigen Baute, sondern nur, dass der Standort in gewissen Grenzen gewahrt bleibt. Die architektonische Gestaltung des Neubaus kann ihre Grenze in kommunalen oder kantonalen Gestaltungs- oder Schutzvorschriften finden, nicht aber in Artikel 11 Absatz 2 ZWG.

BGE 1C_626/2020 vom 17. Juni 2022

Keine Erweiterung bei Abbruch und Wiederaufbau

Artikel 11 Absatz 2 ZWG regelt die Erneuerung, den Umbau und den Wiederaufbau altrechtlicher Wohnungen, wobei die dort beschriebenen Möglichkeiten lediglich im Rahmen der vorbestandenen Hauptnutzfläche zulässig sind. Es handelt sich um eine ausdrückliche Spezialregelung für den Wiederaufbau altrechtlicher Wohnungen. Das Kantonsgericht Graubünden befand im Widerspruch dazu, dass die vorbestandene Hauptnutzfläche auch bei einem Abbruch und Wiederaufbau im Umfang von Artikel 11 Absatz 3 ZWG überschritten werden dürfe. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde des ARE gegen dieses Urteil gut und hob die Baubewilligung auf. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass sich Artikel 11 Absatz 3 ZWG auf die bauliche Erweiterung altrechtlicher Wohnungen bezieht. Die Bestimmung soll es ermöglichen, dass diese Wohnungen den heutigen Ansprüchen angepasst und überhaupt vermietet werden können. Laut Bundesgericht beschränkt Artikel 75b Absatz 1 BV nicht nur die Anzahl der Zweitwohnungen in einer Gemeinde auf höchstens 20 Prozent, sondern auch die durch solche Wohnungen genutzte Bruttogeschossfläche. Könnte eine als Zweitwohnung genutzte altrechtliche Wohnung beim Wiederaufbau über die vorbestandene Hauptnutzfläche hinaus erweitert werden, würde der Anteil der von Zweitwohnungen genutzten Fläche nicht nur wenigstens gleichbleiben, sondern sogar in eine Richtung verändert, die dem Verfassungsziel entgegenläuft. Artikel 11 Absatz 2 ZWG stellt daher keine Grundlage dar, um beim Wiederaufbau einer altrechtlichen Wohnung die Hauptnutzfläche über den Rahmen der vorbestandenen Fläche hinaus erweitern zu dürfen.

BGE 1C_478/2019, 1C_479/2019 vom 8. Mai 2020

Touristische Bewirtschaftung bedingt räumliche Einheit

Baugesuch für die Erstellung von zwei Ferienhäusern als erste Etappe für die Realisierung des Ferienresorts «Steinbock Resort» in Leis, bei der Talstation der Bergbahnen Vals und im Raum Gada. Wie kann verhindert werden, dass Zweitwohnungen als touristisch bewirtschaftet im Sinne des ZWG bewilligt werden, nach ihrer Erstellung aber trotzdem als unbewirtschaftete Zweitwohnungen genutzt werden? Wie sich aus der Entstehungsgeschichte von Artikel 7 ZWG ergibt, genügt aus Sicht des Bundesgerichts die kommerzielle Bewirtschaftung der Häuser durch eine Vermarktungs- und Vertriebsorganisation für sich allein nicht. Die Häuser müssen auch räumlich und funktionell Teil eines hotelartig strukturierten Beherbergungsbetriebs sein.

Laut Bundesgericht ist dies vorliegend nicht der Fall. Es handelt sich um typische Ferienhäuser in grosser räumlicher – mehr als zwei Kilometer – Entfernung vom Hotel Steinbock. Mit diesem verbindet sie einzig der Bewirtschaftungsvertrag. Derartige Verträge können aufgelöst oder gekündigt werden, und die Kontrolle ihrer Einhaltung ist für die Gemeinden kaum möglich. Sind die Zweitwohnungen erst einmal erstellt, ist es erfahrungsgemäss nicht möglich, sie wieder abzureissen.

BGE 1C_511/2018 vom 3. September 2019, Erw. 4.3 und 4.4

Nachfrage nach Erstwohnungen muss bestehen

Baugesuch für zwei Chalets mit acht Wohnungen in Ormont-Dessus. In den letzten fünf Jahren sind gemäss Bundesgericht zahlreiche neue Erstwohnungen entstanden, ohne dass dies Auswirkungen auf die Zahl der einheimischen Bewohner und Bewohnerinnen gehabt hat. Mit Blick auf die Nachfrage nach neuen Erstwohnungen ist es offensichtlich, dass keine Nachfrage existiert, die aktuell nicht befriedigt werden kann.

BGE 1C_257/2018 vom 6. August 2019

Baugesuch für ein Chalet mit sechs Ein- und Zweizimmerwohnungen in der Gemeinde Gryon. Der grosse Leerstand bei altrechtlichen Zweitwohnungen kann gemäss Bundesgericht auch dazu dienen, den tatsächlich existierenden Bedarf an Erstwohnungen in der Gemeinde abzudecken. Die Kleinheit der Wohnungen, die Tatsache, dass nicht bekannt ist, wie teuer sie werden, ihre Lage – zwei Kilometer vom Dorfzentrum entfernt auf 1'200 Metern Höhe direkt neben den Skiliften und der Ski Loipe – führt dazu, dass die Gefahr einer unrechtmässigen Nutzung gross erscheint. Dies gilt gemäss Bundesgericht wenigstens so lange, wie die Bauherrschaft nicht schon vorgängig seriöse Kaufinteressierte für eine Nutzung als Erstwohnung präsentieren kann.

BGE 1C_448/2018 vom 24. Juni 2019, E. 3.3 und 3.4

Kontakt

Bundesamt für Raumentwicklung ARE

Inhaltliche Fragen zu Wohnungsinventar, Vollzug und Wirkungen

Zweitwohnungen

Bundesamt für Statistik (BFS)

Technische Fragen zur Bedienung des GWR und des Wohnungsinventars

Tel.
0800 866 600

housing-stat@bfs.admin.ch

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